Bei Uni im Rathaus heißt es am 20. März „Können wir noch miteinander? Die neue Debattenkultur“. Dr. Domenica Dreyer-Plum erläutert im Interview, wie es um unsere Debattenkultur steht.

Wie steht es um unsere Debattenkultur? Warum fällt es uns so schwer, andere Meinungen auszuhalten und warum lassen wir uns schnell von anderen Positionen triggern? Oder anders formuliert? Können wir noch miteinander? Also reden, diskutieren, uns austauschen. Mit diesen und anderen Fragen setzt sich die neue Ausgabe von „Uni im Rathaus“ am Donnerstag, 20. März, um 19 Uhr im Krönungssaal des Aachener Rathauses auseinander. Dr. Domenica Dreyer-Plum vom Lehr- und Forschungsgebiet Politische Systeme der RWTH Aachen diskutiert bei dieser Veranstaltung mit Professor Markus Baum, Soziologe an der Katholischen Hochschule NRW, Abteilung Aachen, und dem Bestseller-Autor Simon Urban unter dem Titel „Können wir noch miteinander? Die neue Debattenkultur“. Im Interview erklärt sie, wie es um unsere Debattenkultur steht.

Wann und worüber haben Sie zuletzt leidenschaftlich diskutiert?

Dreyer-Plum: Richtig leidenschaftlich habe ich zuletzt an Silvester mit Freunden diskutiert. Es ging um die Frage, ob die zunehmende Polarisierung zwischen den demokratischen Parteien der Mitte gut für die Demokratie ist oder eher Schaden anrichtet. Denn einerseits entstehen dadurch klare Profile im demokratischen Streit, andererseits kann es den gesellschaftlichen Zusammenhalt der demokratischen Mitte gefährden.

Was braucht es aus Ihrer Perspektive dazu – was müssen die Diskutanten mitbringen?

Dreyer-Plum: Respekt, Toleranz, Zugewandtheit und die Fähigkeit, andere Positionen aushalten zu können, ohne sich angegriffen zu fühlen. Um wirklich gut zu diskutieren, muss man außerdem die Argumente seines Gegenübers verstehen und sich darauf einlassen, um in einen substanziellen Dialog zu kommen. Sonst läuft man Gefahr, aneinander vorbeizureden. Ich würde zudem davon abraten, zu erwarten, andere von der eigenen Position überzeugen zu wollen. Wichtiger ist es doch, den Blick auf die eigene Perspektive zu richten und in der Diskussion herauszufinden: Was sind meine Positionen und warum? An welcher Stelle hat der/die andere ein gutes Argument? Eine solche Reflexion ermöglicht ein differenzierteres Verständnis von komplexen Sachverhalten, von denen wir überall umgeben sind.

Uni im Rathaus widmet sich der Debattenkultur in unserer Gesellschaft. Wie steht es um diese?

Dreyer-Plum: Der Winter-Wahlkampf hat gezeigt: Die politische Stimmung ist aktuell sehr aufgeheizt. Das kann einerseits ein Katalysator für leidenschaftliche Debatten sein. Wenn aber – zu häufig – der Respekt vor dem politischen Wettbewerber fehlt, dann ist das andererseits ein Warnzeichen, dass es nicht mehr um gute Antworten geht, sondern dass die Fronten ideologisch verhärtet sind.

Verlernen wir Menschen das Debattieren/Diskutieren?

Dreyer-Plum: Das würde ich nicht pauschal sagen: Unsere innen- und außenpolitische Lage hat zuletzt zu intensiven Diskussionen geführt. Sie waren auch in der Sache im besten Sinne Teil eines gesellschaftlichen Meinungs- und Willensbildungsprozesses. Hier erfüllt der politische Streit eine wichtige Rolle. Er gehört zur Demokratie unbedingt dazu. Denn Demokratie bedeutet auch Ringen um die politische, wirtschaftliche und soziale Gestaltung der Lebensrealität in unserem Land. Dennoch stehen wir sicher vor großen Herausforderungen, eine gute Debattier-Kultur und damit auch eine wertvolle und hart erarbeitete demokratische Kultur aufrechtzuerhalten und gegen populistische Vereinfachung zu verteidigen. Wir sehen gerade in den USA, dass politische Entwicklungen in einem rasanten Tempo stattfinden. Das kann auch zu individueller Überforderung, Resignation, Rückzug und einem diffusen Gefühl von Ohnmacht oder zu aggressiver Respektlosigkeit führen, wie wir sie in den sozialen Medien erleben können.

Die Debattenkultur wurde zuletzt sehr stark von politischen Debatten rund um die Bundestageswahl geprägt. Was sind die Spezifika solcher Diskussionen und wie prägend sind diese auch für Zuschauerinnen und Zuschauer beziehungsweise Zuhörerinnen und Zuhörer?

Dreyer-Plum: Vor Bundestagswahlen geht es natürlich um Zuspitzung und Positionierung, aber auch um Profilierung der Parteien und ihres Personals. Zugleich stellt die Bundestagswahl jedes Mal aufs Neue eine wichtige politische Zäsur im demokratischen Leben dar. Die Wahl hat einen hohen symbolischen Wert und wird entsprechend auch von den Parteien vorbereitet. Die vergangenen Wahlkämpfe haben gezeigt, welch überraschend großen Einfluss die Wahrnehmung und mediale Verarbeitung einzelner Ereignisse auf den Wahltrend haben können. Das müssen nicht unbedingt Sachthemen sein, sondern oft sind es eher Ereignisse, die eine Stimmung verändern. Zugleich beobachten wir seit einiger Zeit, dass die Bindungskraft von Parteien nachlässt, was den Ausgang der Wahlen insgesamt weniger vorhersagbar macht. Deshalb können kernige Themen, Stimmungen und einzelne Ereignisse einen Unterschied machen.

Sie sind unter anderem Expertin für Grenz- und Asylpolitik. Ein Thema, über das zuletzt besonders hitzig diskutiert wurde. Warum ist es bei diesem Thema so schwer, leidenschaftlich aber aufrichtig und fair zu diskutieren?

Dreyer-Plum: Letztlich wird in diesem Themenfeld definiert, wer dazu gehört und wer nicht. Dabei geraten verschiedene gesellschaftliche Werte aneinander. Bezogen auf Asyl haben wir es mit dem humanitären Auftrag zu tun, Menschen Schutz zu gewähren, deren Leben gefährdet ist. Diesen Schutzauftrag hat die internationale Staatengemeinschaft erst nach den Erfahrungen der Judenverfolgung durch die Deutschen entwickelt und mit der Genfer Flüchtlingskonvention im Völkerrecht in den 1950er Jahren verankert. Da es kaum legale Einreisemöglichkeiten gibt, um Asyl zu beantragen, haben wir es immer auch mit einer grenzpolitischen Frage zu tun. Die Staaten sind souverän zu entscheiden, wer an der Grenze in ihr Hoheitsgebiet einreisen darf und wer sich dort aufhalten darf. Diese Kompetenz ist eng verknüpft mit der Frage danach, wer zugehörig ist und wie eine Gesellschaft ihr Zusammenleben gestaltet. Damit sind auch ein Ordnungsversprechen und Kontrolle verbunden. Doch schon seit den 1990er Jahren beobachten wir zunehmende Tendenzen der Globalisierung. Die Welt rückt näher zusammen. Mobilität und Migration wird erleichtert und die soziale Frage globaler Ungleichheit wird durch Migration in die wirtschaftsstarken Regionen der Welt und damit auch in die EU und nach Deutschland getragen.

Mit wem würden Sie über dieses Thema gerne einmal diskutieren?

Dreyer-Plum: Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gerne mit Angela Merkel darüber sprechen. Die Situation von 2015 ist bis heute der Dreh- und Angelpunkt unserer politischen und rechtlichen Diskussion über die deutsche und europäische Grenz- und Asylpolitik. Damals hat Angela Merkel sich für einen humanitären Imperativ entschieden und dafür zunächst in der deutschen Bevölkerung, aber kaum von den europäischen Partnerländern Rückhalt bekommen. Inzwischen hat sich der Diskurs deutlich verschoben. Stärkere Abgrenzung, mehr Grenzschutz und mehr Abschiebungen stehen im Mittelpunkt. Dabei brauchen wir eigentlich damals wie heute vor allem mehr europäische und gemeinsame Verantwortungsteilung, die politisch in weiter Ferne zu sein scheint.

Die Veranstaltungsreihe „Uni im Rathaus“ von Stadt und Hochschule heißt zweimal jährlich die interessierte Öffentlichkeit herzlich willkommen: Bei diesem Format werden aktuelle, gesellschaftsrelevante Themen mit namhaften Experten aus Wissenschaft und Gesellschaft in Form einer dynamischen Podiumsdiskussion aufgegriffen. Der Eintritt zur Veranstaltung ist kostenfrei. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.